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Gute und schlechte Flüchtlinge?

Meinung


2014 bekam er den Niedersächsischen Integrationspreis für sein Engagement bei der Initiative „Jugendliche ohne Grenzen“ und am Runden Tisch Integration in Northeim. Fast anderthalb Jahre später spricht Nino Novakovic darüber, wie sich sein Engagement seitdem verändert hat, erklärt, was so gefährlich daran ist, von guten und schlechten Flüchtlingen zu sprechen und appelliert an Menschlichkeit und europäische Solidarität.

Vor einigen Wochen verließ Nino Novakovic einen Supermarkt. Mit vollgepackten Taschen war er auf dem Weg zum Auto, als er von einem fremden Mann angesprochen wurde: „Where are you from?“, fragte er. Nino blickte über seine Schulter, verwundert über diese Frage. „Ähm, from Germany“, antwortete er. Ohne auf eine Reaktion zu warten, machte er sich wieder auf in Richtung Auto und verstaute seine Einkäufe. Kofferraum runter, Motor an. Doch irgendetwas hinderte ihn am Losfahren. Er zog den Schlüssel aus dem Anlasser, ließ ihn in seinen Schoß fallen und begann nachzudenken.

Nino wusste, dass der Mann seine Frage nur deshalb gestellt hatte, weil er in Vorurteilen dachte. Nino hat dunkle Haare und einen dunklen Vollbart. Nino ist ein Flüchtling. So funktionieren Stereotype. Sie helfen uns, in einer unübersichtlichen Welt die Orientierung zu behalten. Genauso aber reduzieren sie Komplexität, sodass Nino, der in Deutschland als Sohn serbischer Eltern geboren wurde, Deutsch spricht, eine Ausbildung macht und hier alle seine Freunde hat, kurzerhand zum Flüchtling wird. Und genau da liegt das Problem von Vorurteilen, wie Nino weiß. Sie verhindern den Blick unter die Oberfläche und stecken Menschen bereits nach einem ersten Blick in eine Schublade. Nino, der Flüchtling.

Gerade Schubladendenken sei das, so erklärt er, worauf er seit dem Integrationspreis 2014 vermehrt stößt. Seitdem die Zahl der Flüchtlinge, die nach Niedersachsen kommen, vom Januar 2015 bis heute stark angestiegen ist, gebe es in den Köpfen der Menschen besonders zwei große Gruppen: gute und schlechte Flüchtlinge.

Gute Flüchtlinge, erklärt er, seien die, die aus Kriegsgebieten kommen, weil sie gemäß Genfer Konvention verfolgt werden oder akut um ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen. Schlechte Flüchtlinge seien demzufolge die, die man gemeinhin als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichne. Ein Beispiel dafür seien die Roma, die aus den Balkanstaaten kommen und aufgrund der Tatsache, dass jene Länder als sichere Herkunftsstaaten eingestuft sind, in Deutschland zunehmend unter Diskriminierung zu leiden haben, so Nino.

Besonders im Angesicht der im letzten Jahr gestiegenen Zahl von Asylbewerbern aus Syrien und dem nordafrikanischen Raum, die er ebenso mit Herzblut unterstützt, ist es ihm heute mehr denn je ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, dass etwa jene Roma genauso mit einer persönlichen Geschichte nach Niedersachsen kommen wie andere Flüchtlinge auch. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass die Volksgruppe der Roma in vielen Balkanstaaten diskriminiert und bedroht wird und ihr ein menschenwürdiges Leben häufig nicht ermöglicht wird. Von schlechten Flüchtlingen zu sprechen, lasse diese Schicksale außer Acht.

Er plädiert dafür, den Menschen zuzuhören und sie nicht von vornherein abzustempeln. „Eine offene Haltung ist wichtig. Man sollte jeden als Mensch behandeln. Gerade jetzt ist Menschlichkeit wichtiger denn je“, macht Nino deutlich. Nur wenn man offen auf Flüchtlinge zugeht, egal woher sie kommen, könne man Vorurteile aus eigener Kraft abbauen. In diesem Rahmen sei Aufklärungsarbeit von zentraler Bedeutung. Sie könne zu einem friedlichen Miteinander führen und Rechtpopulisten den Nährboden entziehen.

Zudem rückten letztes Jahr Fragen verstärkt in den Vordergrund, die vorher noch nicht in der Dringlichkeit auftauchten. Wo können die Flüchtlinge schlafen? Wie lernen sie unsere Sprache? Angesichts solcher Probleme wünscht sich Nino mehr europäische Solidarität und Gemeinschaft. Es sei notwendig in Europa, in diesen Fragen Einigkeit herzustellen. Nur wenn man gemeinsam an einem Strang ziehe, könne Integration funktionieren.

Es ist ein langer Weg. Gerade deshalb will sich Nino auch in Zukunft vielseitig engagieren. So möchte er etwa 2016 in den Migrationsrat Northeim einziehen, um Einfluss auf die Kommunalpolitik nehmen zu können und aktiv Zukunft zu gestalten.

Text: Marvin Schildmeier, 21, Germanistik- und Geschichtsstudent, war Praktikant in der Presse- und Informationsstelle der Landesregierung.

Bild von Nino Novakovic  

Nino Novakovic

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